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Ich fang' dir einen Bräutigam
von Manfred Rüster
Niko Dalberg wartet im Airport auf den Aufruf seines Flug nach Sizilien. Da kommt Do Zöhrer, seine enge Freundin. Will sie sich von ihm verabschieden und ihm einen guten Flug wünschen...?

Flughafen München-Riem, sieben Uhr dreißig. In der Abfertigungshalle drängten sich die Menschen. Vor der Paßkontrolle schoben sich drei Schlangen schrittweise vorwärts.

Niko Dalberg betrachtete das Kommen und Gehen mit gemischten Gefühlen, denn soeben war sein Flug zum zweiten Mal aufgerufen worden. Zehn Minuten konnte er im äußersten Fall noch warten, wenn er dann noch zögerte, würde sein Gepäck ohne ihn die Reise nach Sizilien antreten - womöglich auf Nimmerwiedersehen. Aber was nimmt man nicht alles aus Liebe in Kauf!

Aus Liebe? Niko konnte nur für sich sprechen: Ja, er war verliebt! Aber Do? Sie war Geschäftsfrau und Modedesignerin mit Leib und Seele, da blieb für Gefühle wenig Platz. Wenn sie träumte, dann von Schnittmustern, kostbaren Stoffen und Umsatzzahlen. Manchmal glaubte Niko, er liebe eine Bilanz. Aber wenn sie von Schwierigkeiten heimgesucht wurde, war sie hilflos wie ein kleines Mädchen; das war die einzige Schwäche an ihr, und die machte sie so liebenswert.

Wie auf ein verabredetes Zeichen wandten sich Dutzende von Frauen um und gaben eine Gasse frei. Durch diese kam Do Zöhrer geschritten. Die lange Jacke, der Stufenrock und die Lackschuhe, alles in moosgrün, ihre Haare und die Brille in kastanienbraun und die korallroten Lippen als I-Tüpfelchen gaben ihr den Flair einer inkognito reisenden Königin. Einige der Spalier stehenden Damen waren nahe daran, einen Knicks zu machen.

"Na endlich!" rief Niko erleichtert. "Der Flug wurde schon zweimal aufgerufen."

"Außer dir scheint es Hundertschaften Verrückter zu geben, die im Oktober in Urlaub fliegen", antwortete sie. "Im übrigen habe ich die Unpünktlichkeit genau einkalkuliert."

"Das wäre nicht nötig gewesen. Mein Blutdruck geht vor Freude sowieso auf hundertachtzig, wenn ich dich sehe."

"Mir ist nicht nach Scherzen zumute!" fauchte sie.

"Bitte nicht schon wieder! Ich hoffte, wir würden uns in aller Liebe auf Wiedersehen sagen. Übrigens hätten wir uns die Streitereien der vergangenen Woche erspart, wenn du mitgeflogen wärst."

"Mitgeflogen? Sieh doch endlich ein, daß ich die Kollektion fertig machen muß!" Jetzt war ihre Stimme unangenehm hart. "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen."

"Eben."

"Was eben?"

"Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Gearbeitet habe ich schon, drei Monate lang, fast sechzehn Stunden am Tag. In einer Woche geht es so weiter. Nur diese acht Tage bleiben mir zur Erholung übrig. Gönne sie mir doch, Liebling! Ich will nur schlafen und einmal am Tag um ganz Sizilien herum joggen. Seit Wochen sehne ich mich danach." Niko streckte ihr beide Arme entgegen, als wollte er sie umfangen und versöhnlich an sich ziehen, doch Do wich zurück.
. . .

Zur selben Zeit eröffnet Papa Stradiotti seiner Frau, welche Pläne er mit Tochter Adelaide hat.

Papa Stradiotti, sein Bruder Don Paolo, Kaplan in Acireale, und Vetter Leonardo, Carabiniere aus Catania, gehörten zu denen, die in ernsten Augenblicken des Lebens keine großen Worte machen.

"Frauen reden zuviel!" sagte der erste.

"Besonders wenn es ums Heiraten geht", ergänzte der zweite.

"Das Dorf würde sich das Maul zerreißen”, schlußfolgerte der dritte.

Verschworen hatten sie sich mit diesen Sätzen gegen Mamma Stradiotti und Adelaide, genannt Ada, Papas fünfter und vorletzter Tochter.

Bis zum letzten Augenblick kostete Papa den Zauber des Geheimnisses aus. Dann gab er seine Anweisungen: "Ada, packe deine Sachen! Wir fahren nach Giardini zu Onkel Filippo. In vierzig Minuten geht der Bus. Ziehe das Sonntagskleid an, damit du recht schön aussiehst." Zu Mamma sagte er: "Ada wird nächste Woche heiraten. Du mußt nicht erschrecken! Ich habe es so eingerichtet, daß du vorläufig zu Hause bleiben kannst. Wenn es so weit ist, lasse ich dich holen."

"Heiraten? Davon weiß ich ja gar nichts!" Mamma strahlte. Verstehend zwinkerte sie Ada zu, doch das Mädchen starrte verständnislos zurück. "Ihr wolltet mich überraschen, nicht wahr? Ihr seid mir zwei, du und dein Vater! Wer ist es denn? Giacomo?"

Geringschätzig zuckte Papa mit den Schultern. "Giacomo! Dieser Hungerleider! Wie will der eine Familie gründen? Bei ihm leben selbst die Küchenschaben von der Sozialhilfe."

"Du warst auch kein Krösus, als wir geheiratet haben. Wenn uns meine Eltern nicht unterstützt hätten..."

"Das waren andere Zeiten!"

"Für Verliebte sind alle Zeiten die richtigen."

"Verliebte ...! Liebe kommt später von allein.“

"Schöner ist's aber schon, wenn man sich von Anfang an liebt. Ich meine, wegen der Leidenschaft."

Verlegen wandte sich Papa ab und wechselte das Thema. "Leonardo erzählte neulich von einem Pärchen, das Touristen ums Geld erleichtert hat. Und zwar machte sich die Frau an die ausländischen männlichen Gäste des Hotels heran, kundschaftete den reichsten aus und fädelte eine pikante Situation ein. Eine pikante Situation, das ist, wenn er ... oder sie ... nein, wenn beide ..., na, du weißt schon! - In diesem Moment tauchte der Ehemann auf und forderte den Ausländer zum Zweikampf mit Messern heraus. Welcher Ausländer weiß schon mit dem Messer umzugehen? Nachdem der Ausländer eine Zeitlang um Gnade gebettelt hatte, bot der Ehemann an, gegen einen hübschen Geldbetrag auf die Messerstecherei zu verzichten. Keiner hat das Angebot je abgelehnt. - Die beiden haben von dem Trick gut gelebt."

"Was hat das mit meiner Ada zu tun?"

Er verdrehte die Augen zur Zimmerdecke. "Daß der Liebe Gott den Frauen so wenig Phantasie gegeben hat! In Giardini gibt es Hunderte von Ausländern, Junge, Alte, Gebrechliche, Kranke, Schweizer, Holländer, Katholiken, Freidenker, - und alle haben etwas gemeinsam: Sie sind reich! Wie sonst könnten sie sich einen Urlaub in Italien leisten? Sie liegen am Strand und haben den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als mit Stielaugen den Frauen nachzuschauen und sich ..."

"... pikante Situationen auszudenken", warf Mamma ein.

"Unterbrich nicht dauernd! - Ada wird sich in den teuren Hotels am Meer einen Mann aussuchen. Ich will ihr keine Vorschriften machen, sie hat freie Wahl. Nur reich muß er sein. Und alt. Oder kränklich. Am besten alles zusammen.”

Adas Gesicht wurde aschgrau. Lautlos bewegte sie die Lippen. Tränen sickerten durch die schwarzen Wimpern und kullerten über die Backen. Schluchzend rannte sie hinaus.

”Wenn sie einen gefunden hat, fädle ich eine pikante Situation ein ...", fuhr Papa fort.

"... und dann forderst du ihn zum Zweikampf mit dem Messer heraus.” Mammas Augen glänzten. ”Das muß ich mir ansehen, das darf ich nicht versäumen!"

"Glaubst du vielleicht, ich bin dafür zu alt? Ich bin noch gut in Form." Papa warf sich in die Brust und fing an, in der Küche hin und her zu gehen.

"Ein bißchen werde ich dem Ausländer schon mit dem Messer unter der Nase herumfuchteln. Da tritt Vetter Leonardo dazwischen und treibt uns auseinander. Er wird die Galauniform anziehen. Was glaubst du, wie das die Fremden beeindruckt! Während er die Anzeige wegen Verführung Minderjähriger aufnimmt und vom Leben in sizilianischen Gefängnissen erzählt, schwöre ich Rache bis ans Ende der Welt. Damit der Fremde nicht türmt, sperren wir ihn in seinem Hotelzimmer ein und halten draußen Wache. Tags darauf ist Hochzeit. Leonardo besorgt über Nacht die Papiere. Bruder Paolo wird die beiden trauen. So geht es schnell und keiner stellt dumme Fragen." Papa setzte sich auf den Hocker, schlug die Beine übereinander und fragte: "Jetzt staunst du, was?"

"Warum so umständlich? Warum soll Ada einen Ausländer heiraten? Wenn du sie unter die Haube bringen willst, gib sie Giacomo. Sie lieben sich!"

Mit beiden Armen holte Papa weit aus. "Denk doch mal an die Tradition. Wenn Ada einen Sizilianer heiratet, müssen wir für die Aussteuer aufkommen. Sonst hat unsere Familie für alle Zeiten ihre Ehre verloren. Nach den Hochzeiten von Peppina, Luisa, Maria und Assunta bin ich abgebrannt. Für eine fünfte Aussteuer ist kein Geld mehr da. - Ein Italiener geht uns nicht auf den Leim, der kennt die ungeschriebenen Gesetze. Bleibt nur ein Ausländer übrig."

Papa warf sich in die Brust. „Du brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich habe alles bis ins kleinste durchdacht. Ich werde für Ada nächste Woche einen reichen Bräutigam fangen, der wird uns sanieren.”
. . .

Wird Niko Dahlberg mit der angetrauten Adelaide Stradiotti nach München zurückfliegen? Oder läßt er sich lieber auf eine Messerstecherei ein?
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lprT013a - 2019.09.06