Manfred Rüster
Belletristik
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Leseprobe
Salz im Champagner
von Vikta Tobor
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Nach einem Verkehrsunfall ist Eve Walden
gezwungen, eine Werkstatt in ihrem Heimatort Hurley anzusteuern. Sie tut es
widerwillig, denn es könnte sein, dass sie jemanden trifft, dem sie gerne aus dem
Wege ginge.
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Der Wagen bockte wie ein Esel und wollte nach links ausbrechen. Das Lenkrad zitterte hin und her. Eve Walden hielt es mit beiden Händen umklammert, um die Spur zu halten. „Die Reparatur dauert Stunden!“, nörgelte Barbara Mansfield, die auf dem Beifahrersitz saß. „Wenn wir Pech haben, sind wir nach Mitternacht in Big Apple!“ „Ich lasse nur den Reifen wechseln“, tröstete Eve ihre Freundin. „In spätestens einer halben Stunde fahren wir weiter. Den Blechschaden repariert meine Werkstatt in Big Apple.“ Barbara Mansfield ließ nicht locker: „Warum musste er uns ins Visier nehmen? Er hätte nach rechts ausweichen können!“ „Er hatte keine Wahl. Dort ging es die Böschung hinunter.“ Sie erreichten das Ortsschild mit der Aufschrift Hurley. Sogleich spürte Eve Walden einen unangenehmen Geschmack auf ihrer Zunge. Ausgerechnet in der Nähe ihrer Heimatstadt musste der Unfall passieren! Sie fuhr an den Straßenrand und bremste den Wagen ab. „Fahr du weiter“, sagte sie zu ihrer Beifahrerin. „Noch eine Meile, dann haben wir es geschafft.“ „Hurley ist deine Stadt!“, protestierte Barbara Mansfield. „Bis wir die Plätze tauschen, hast du die Werkstadt längst erreicht!“ „Ich habe meine Gründe“, antwortete Eve Walden knapp, löste ihren Sicherheitsgurt, stieg aus und schlüpfte schnell auf den Rücksitz. Widerwillig rutsche Barbara Mansfield nach links und stellte die Frischluftdüse so ein, dass der Luftstrom geradewegs in ihr Gesicht blies. „Verdammte Hitze heute“, stöhnte sie, betupfte ihre Stirn mit einem Taschentuch, das sie aus dem Ausschnitt ihres Kleides gezogen hatte. „Wie soll ich fahren?“ „Geradeaus bis zum Reklameschild von McDonalds. Dahinter rechts abbiegen.“ Vorsichtig fuhr Barbara an. Das Lenkrad zerrte nach links und vibrierte. Energisch hielt sie dagegen. „Ein Reifenwechsel wird nicht reichen“, vermutete sie. „Ich tippe auf eine defekte Lenkung. Das dauert Stunden.“ Da Eve nicht reagierte, sah Barbara in den Rückspiegel. Die Freundin kauerte im Sitz und wirkte nicht größer als ein Kind. Eindringlich musterte sie jeden Passanten. Einmal zuckte sie zusammen, drückte sich in den Sitz und rutschte einen Zoll nach unten. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Barbara besorgt. „Nein, nein!“, antwortete Eve schnell. „Fahr ruhig weiter.“ Sekundenlang zögerte Barbara mit der Frage, die ihr auf der Zunge lag. Dann brach sie aus ihr heraus: „Sieht er gut aus?“ „Wer?“, schreckte Eve auf. „Der, vor dem du dich versteckst.“ „Du bist auf dem Holzweg!“, antwortete Eve gereizt. „Die nächste Straße links abbiegen!“ Volltreffer!, dachte Barbara und setzte den Blinker. . . . Jimmy trug einen ölverschmierten Overall, unter dessen Gürtel ein Tuch undefinierbarer Farbe geklemmt war. Er wischte sich daran die Hände ab. Eve hielt ihm ihre Hand entgegen. „Wie geht’s der Familie?” „Gut!“, sagte er, wobei sein Lachen verflog. „Lucy ist heute nicht oben gewesen. Dabei ist Putztag. Aber Ihr Daddy rief schon kurz nach acht an und meinte, sie soll’s heute auf jeden Fall bleiben lassen. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie kommen ...“ „Machen Sie sich keine Sorgen, Jimmy! Ich habe nicht vor, hinaufzufahren.“ „Ich dachte, wegen der Hitze heute ... Es wäre schön kühl dort oben.“ Eve wandte sich um zeigte auf ihren Wagen. „Ich hatte auf dem Thruway einen Unfall. Das rechte Vorderrad steht schief. Und der Kotflügel ist verbeult. Sonst ist nichts passiert. Würden Sie sich den Schaden ansehen?“ „Mach ich sofort, Miss Eve!“ Sie gingen zum Wagen. Jimmy sagte: „Brian wird sich freuen, dass Sie im Lande sind! Ich rufe ihn nachher gleich an!“ Eve blieb abrupt stehen. „Keinen Brian, hören Sie!“ |
Alles lief nach Eves Plan - bis zu dem Augenblick, da sie Jimmys Tankstelle verlassen wollte...
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Sie holten die Jacken, den Laptop und die Aktentaschen aus Eves Ford und verluden alles in Lucys Wagen. Schon wollten sie einsteigen, als hinter ihnen jemand „Hallo, Eve!“ sagte. Erschreckt wandte sich Eve um und sah in das Gesicht eines jungen Mannes. Brian ...! „Hallo! Was für eine Überraschung ...“ Nun war es also doch passiert. Als ob das Schicksal darauf gelauert hätte, sie zusammenzuführen. Eve hatte oft daran gedacht, wie es ein würde, wenn sie Brian wieder träfe. Sie wollte so tun, als wäre nichts geschehen. Aber jetzt waren alle vorbereiteten und wohl formulierten Sätze aus dem Gedächtnis gelöscht. Sie versuchte, so natürlich wie möglich zu sein und sagte: „Lange nicht gesehen.“ „Ja, lange nicht gesehen.“ Brian hatte die Hände tief in die Hosentaschen gesteckt und die Schultern hochgezogen. Sein Blick suchte den Himmel ab. „Heiß heute“, sagte er. „Ja, heiß heute. Nimmt einen ganz schön mit.“ Sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. „Wird noch zwei Tage anhalten, sagt der Wetterbericht.“ Von wegen kühle Seelenverfassung! Es misslang ihr, einen klaren Gedanken zu finden. Brians volles, blasses Gesicht, seine braunen, unverbrüchliche Treue versprechenden Augen und die sinnlichen Lippen übten dieselbe Faszination auf sie aus wie früher. Als Brian ihr in die Augen sah, fühlte sie, wie Verlegenheit und das schlechte Gewissen ihr Denken und Fühlen überwucherten. „Du bist voller geworden“, sagte sie und trat ein paar Schritte zur Seite, damit Barbara nicht jedes Wort verstand. Brian folgte ihr. „Viel zu tun. Kam nicht dazu, Sport zu treiben. - Bleibst du lange hier?“, fragte er, den Blick zu Boden gesenkt. Seine Zunge leckte über die Lippen. Er ist genauso verlegen wie ich, dachte sie. Diese Geste hatte immer verraten, dass er nicht den Mut fand, zu sagen, was ihn bewegte. „Wir übernachten im Landhaus“, sagte sie. „Wir? - Du bist in Begleitung?“ Er warf einen Blick in die Runde. „Miss Mansfield. Eine Arbeitskollegin von früher. - Wir hatten einen kleinen Unfall.“ Brian erschrak. „Hast du dich verletzt?“ „Wir hatten bloß Blechschaden. – Jimmy meint, er könne den Wagen bis morgen in Ordnung bringen. Gegen Mittag fahren wir weiter.“ „Schon morgen Mittag? - Schade.“ Er nahm eine Hand aus der Hosentasche, wischte über sein Gesicht und steckte sie wieder hinein. „Ja, schade“, bestätigte Eve gedankenlos. „Heute Abend ...“, begann er und zog die Schultern höher. „Hast du schon was vor? Abendessen -, zum Beispiel? Wir beide könnten -, ich meine ...“ Verwirrt merkte Eve, dass sie sich über Brians Einladung freute. Das war nicht vorgesehen ... Sie zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln und sagte nachdrücklich: „Tut mir Leid, Brian. Es wäre unhöflich, Miss Mansfield alleine im Landhaus sitzen lassen.“ „Natürlich.“ Er zog die Augenbrauen zusammen und suchte nach Wörtern. “Wäre unpassend, sie einzuladen. Außerdem ginge es sie nichts an -, ich meine, unsere Erinnerungen.“ „Nein, unsere Erinnerungen gehen sie nichts an“, bestätigte Eve. „Deinem Daddy geht es gut?“, fragte er. „Ja, Daddy geht es gut.“ Sie hatte die feste, energische Stimme wieder gefunden. „Mom auch?“ „Ja, Mom auch. Sie lebt zurzeit in Nizza.“ Brian hakte die Daumen in den Hosenbund. „Ich muss übermorgen nach Brooklyn. Wir könnten es dort nachholen , das Abendessen, meine ich.“ Auch seine Stimme war beinahe so fest wie immer. Jetzt hatte sie endlich den vorbereiteten Text parat! „Ich muss dir einen Korb geben, Brian! Mein Terminkalender. Ich habe mich nämlich selbständig gemacht. Mit einer Immobilienagentur.“ „Eine Immobilienagentur?“, unterbrach er. „Kann man heutzutage davon leben?“ „Ich habe eine Durststrecke einkalkuliert. Deshalb muss ich strampeln und bin jeden Tag woanders. Ich habe kaum Gelegenheit, mich mit Daddy zum gemeinsamen Breakfast zu treffen.“ Sein Blick verdüsterte sich. „Darf ich dann wenigstens anrufen, wenn ich in der City bin?“ „Natürlich darfst du das! Aber lege dich auf keinen bestimmten Tag fest.“ „Kann’s ja versuchen. Wenn du da bist, bist du da. Wenn nicht, probier ich’s ein andermal.“ Er leckte über die Lippen. „Deine Telefonnummer -, hat sie sich geändert?“ „Weshalb sollte sie sich geändert haben?“ Brian steckte die Hände wieder in die Hosentaschen. „War nur so eine Frage. Hätte ja sein können.“ Eve ahnte, worauf er mit der Frage hinauswollte: Falls sich die Nummer geändert hätte, lebte sie vielleicht mit dem anderen Mann zusammen. Brian war taktvoll genug - und viel zu schüchtern -, um sie direkt danach zu fragen. „Ja, hätte sein können“, bestätigte sie. „Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit. Nein, meine Nummer hat sich nicht geändert. Du weißt sie noch?“ Brian nickte, und in dieser Bewegung steckten Hilflosigkeit und Niedergeschlagenheit. Ein lautes „Hallo!“ schreckte sie auf. Sie wandten sich um und erkannten Percy Murdoch. Er lehnte aus dem Fahrerfenster eines Dodge und winkte mit erhobener Hand. „Ausgerechnet ...“, flüsterte Eve. „Habt ihr euch wieder versöhnt?“, rief Percy und verzog sein Gesicht zu einem anzüglichen Grinsen. „Übt ihr wieder Händchenhalten?“ „Was geht das dich an!“, rief Brian. „Könnte mir vorstellen, dass mir Maggie wegen der Neuigkeit ’ne Cola spendiert!“ Er lachte, gab Gas und fuhr mit durchdrehenden Reifen davon. Eve notierte den Namen Maggie in ihrem Gedächtnis. Brian sah dem Wagen nach und brummte: „Ich krieg dich! Eines Tages ... Hab mit dir ein Dutzend Rechnungen offen!“ „Ignoriere ihn einfach!“, sagte Eve. „Tue so, als ob er gar nicht existiert. Das verletzt ihn am meisten.“ „In einer Stunde erzählt man in der ganzen Stadt, dass wir demnächst ...“ Er brach ab, leckte über die Lippen. Heiraten, ergänzte Eve in Gedanken. Um das unangenehme Gefühl zu unterdrücken, das in ihr heranwuchs, sagte sie schnell: „Percy quatscht so viel unsinniges Zeug, dass ihm niemand mehr glaubt. - Jetzt muss ich aber weiter. Nett, dich gesehen zu haben. Mach’s gut, Brian. Bye!“ Energisch wandte sie sich um und ging zum Wagen zurück. Mit brüchiger Stimme rief ihr Brian hinterher: „Bis zum nächsten Mal! Bye, Eve!“ Das also war das Wiedersehen! Weder war sie vor Scham in den Boden gesunken, noch war die Welt zusammengebrochen. Keine Vorwürfe, keine Fragen, keine Erklärungsversuche, keine Entschuldigungen. Es war beinahe, als wären sie erst gestern in Frieden und Eintracht auseinander gegangen... Die Beklemmung verschwand. Erst jetzt merkte sie, wie sehr das mögliche Zusammentreffen auf ihrem Gemüt gelastet hatte. Jetzt war sie endgültig frei! Frei von Denis, frei von Brian. Sie würde sich hüten, sich
wieder mit einem Mann einzulassen! Sie sind ohnehin einer wie der andere. Hast du
einen erlebt, hast du alle erlebt. Und auf die Wiederholung von Ärger, Scheinheiligkeit,
geheucheltem Verständnis, verlorener Selbstachtung kannst du verzichten. Den viel
gerühmten und ersehnten Kick bringt auch Geld. Viel Geld. Deshalb hatte in ihrem
Herzen nur eines Platz: ihre Agentur! An die Gründung einer Familie wollte sie erst
denken, wenn sie eine dreiviertel Million auf der Bank hatte. Minimum.
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Werden Eve und Brian wieder zusammen finden? Wird Eve je eine dreiviertel Million Dollar
besitzen? Oder kommt alles ganz anders?
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