Manfred Rüster
Belletristik
Erwachsenenbildung
|
![]() |
Home
|
|
|
Leseprobe verlassen
|
Leseprobe
Chop Suey mit blauen Bohnen
von Manfred Rüster
|
Hektor Renz kommt von einer langen LKW-Fahrt quer durch Europa zurück.
Er hat nur einen Wunsch: ausschlafen.
|
Ich warf den Kopf in den Nacken. Regentropfen kühlten mein Gesicht. Das Nass perlte über Wangen und Hals hinab und versickerte im Hemdkragen. Eine Kastanie reckte ihre Äste der Straßenbeleuchtung entgegen. Die frisch aufgeblühten Kerzen wippten im Wind. Ein Zug donnerte über die nahe Eisenbahnbrücke. - Fünf Minuten bis nach Hause. Noch immer spürte ich das Vibrieren des Motors. Wenn ich die Augen schloss, huschten die Pfosten der Straßenbegrenzung und weiße Fahrbahnmarkierungen vorbei. Ich wusste, dass mich dieses Bild die kommende Nacht im Traum verfolgen würde, denn die Eindrücke und Erlebnisse von zwei Wochen Dienst im Cockpit eines Dreißigtonners, unterwegs zwischen Lissabon, Ankara und München, ließen sich nicht mit einer Handbewegung wegwischen. Die Uhr an der Bushaltestelle zeigte auf zehn nach elf. Noch drei Minuten bis nach Hause. - Zuerst würde ich heiß duschen und mich gründlich abseifen, dann würde ich schlafen, schlafen, schlafen. Vivians Reizen würde ich heute Nacht auf jeden Fall widerstehen. |
... Doch als er sein Haus erreicht, kommen ihm merkwürdige Gestalten in die Quere, und er wird Zeuge
einer unangenehmen Szene ...
|
Ich bog in die halbfinstere Einfahrt hinein, in welcher auf der einen Seite der Zugang zum Treppenhaus, auf der anderen der Eingang zum Chinarestaurant Jadedrachen lagen - , und erstarrte. Vor mir auf dem Boden drei Mann... Einer von ihnen auf dem Rücken. Seine Augen weit aufgerissen. Er wälzte sich hin und her und stammelte. Der zweite Mann führte ein langes Ding an den Kopf des auf dem Rücken liegenden. Ich hörte ein trockenes „Zang!“. Er nahm das lange Ding zurück und steckte es unter sein Jackett. Der auf dem Rücken Liegende wälzte sich nicht mehr. Stammelte nicht mehr. An seiner Schläfe klaffte ein großes dunkles Loch. Da bemerkten sie mich. Glotzten mich an. Sprangen auf. Trotz des Halbdunkels erkannte ich bei allen dreien Schlitzaugen. Der eine holte unter dem Jackett das lange Ding hervor. Er richtete es auf mich und zischelte Unverständliches. Verflucht! Ich bin im falschen Augenblick nach Hause gekommen... Sie hatten den auf dem Boden liegenden Mann umgebracht! Ich war Zeuge. Mordzeugen haben eine kurze Lebenserwartung ... Ich wirbelte herum und stürzte aus der Einfahrt auf die nächtliche Straße hinaus. Wohin? - Nach rechts! Zur Hauptstraße! Im Zickzack rannte ich den Hohlweg entlang, den auf der einen Seite die Fassaden der Häuser und auf der anderen die Reihe eng geparkter Autos bildete. Da spritzten neben mir Mauerbrocken. Kein Detonationsknall, nur ein „Zang!“. So macht ein Schalldämpfer. Profikiller!, schoss es mir durch den Kopf. Das hässliche Wort mobilisierte alle Reserven. Wie ein Ziegenbock hüpfte ich von der Hausfassade zu den Autos und zurück, täuschte, sprang ein paar Schritte geradeaus. Das Hin- und Herschlagen der Tasche fälschte meine Bewegungen zusätzlich ab. Konzentriert wartete ich auf das nächste „Zang!“. Falls ich überhaupt Zeit hätte, es noch zu hören ... |
Hektor Renz gerät in eine eigenartige Gesellschaft.
|
Allmählich klärte sich mein Blick. Um mich herum lagen Kronenkorken, Zigarettenkippen und Papiertaschentücher. Stimmen plapperten gleichzeitig und aus allen Richtungen. Ich verstand nur Wortfetzen. Jemand lachte. Ich hob den Kopf. Licht blendete und verwusch Gesichter zu grauen Flecken. „Der hat’s aber eilig“, sagte einer, und ein anderer antwortete: „Notstand! Ich kenn’ das. Hab ich selbst täglich. Vor dem ersten Schluck fühl’ ich mich wie ‘n nasser Waschlappen.“ Mühsam richtete ich mich auf, suchte Halt an der Theke und taumelte gegen eine Frau. Sie hatte Pausbacken, kurze kastanienbraune Haare und traurige Augen. ”'tschuldigung. - Keine - Kraft mehr“, stammelte ich. „Schon gut“, sagte sie und hakte sich bei einem Kerl unter, der von Beruf hätte Catcher sein können. Er hatte einen schwarzgekräuselten, aber gepflegten Bart, der nur die prallen Lippen sehen ließ. Sein Nasenbein war gebrochen. Er hatte Pranken, so groß wie Suppenteller -, vom Bierglas, das er in der Hand hielt, war nur der oberste Rand zu sehen. Schwaden von Zigarettenrauch waberten durch den Raum und folgten einem sanften Luftzug. Um mich herum standen Männer mit blassen, aufgedunsenen, geringschätzig grinsenden Gesichtern. Die an der Decke angebrachte Reklameleuchte einer hiesigen Brauerei zeichnete Schatten unter ihre Nasen und Kinne, es sah aus, als wären sie für ein gespenstisches Spiel angemalt. Der Spielautomat ratterte und fing an, Münzen auszuspucken. Der Wirt glotze mich aus Glubschaugen missbilligend an. „Harry, einen Schnaps für den neuen Gast!“ rief ein Dickwanst, und der schmächtige Kerl, der beide Armen auf die Theke und den Kopf auf die Arme gelegt hatte, näselte: „Für mich kannst‘u auch gleich ein’ ein-, einschütten.“ „Bin um mein Leben gerannt“, sagte ich mit fliegendem Atem und blickte mich um. „Ist der Chinese reingekommen?” „Was für ein Chinese?” fragte der Catcher. „Ein Killer. - Will mich umbringen. - Mit einem Messer. - Hier hätte er mich beinahe erwischt.“ Ich zeigte auf das Hosenbein und bemerkte erst jetzt den waagrechten Schlitz, der so glatt aussah, als wäre er mit einer Rasierklinge in den Stoff geschnitten worden. Ich erschauerte. „Hast du an seiner Puppe gefummelt?“ „War Zeuge, wie er einen Landsmann abgeknallt hat. Er steht draußen und wartet, bis ich wieder rauskomme.“ Der Catcher richtete seinen Blick auf einen der Männer in der Runde. „Fritz! Sieh mal nach, ob draußen ein Chinese steht.“ Der schmächtige Kerl an der Theke hob den Kopf und brabbelte: „Chinesen sind leicht su erkenn’. Sind gelb. Hände, Füße, Augen -, alles gelb.“ Der Wirt schob mir ein gefülltes Schnapsglas zu. „Runter damit! Geht auf meine Rechnung. Wird dich wieder auf die Beine stellen.“ Ich kippte das Zeug hinunter. Es war billiger Fusel, der ohne Umweg über Magen und Leber von der Zunge aus direkt ins Gehirn ging. Zusammen mit einem Schwall kühler Luft kam der Mann zurück. „Auf der anderen Straßenseite seht einer.“ „Isser gelb?“ fragte der Schmächtige. „Halt deinen Mund!“ zischte der Catcher. „Und sauf nicht so viel, wenn du’s nicht verträgst.“ Der kleine Mann am Spielautomat drehte sich um und sagte mit bemerkenswert heller Stimme: „Weil die Kripo nix tut! Das ist der Grund.“ Der Dickwanst rief: „Alle mal herhören! Der Jockey gibt sich die Ehre, uns eine Mitteilung zu machen!“ Er wandte sich an den kleinen Mann. „Hast du deine Rente endlich verspielt?“ Der Jockey drückte sich nach vorn. „Jawohl! Absolut nix tut! Sieht tatenlos zu. Zwei chinesische Banden kämpfen nämlich um die Vorherrschaft bei der Schutzgelderpressung. Sie kassieren chinesische und vietnamesische Restaurants ab. Ist ein geiles Geschäft. Zwei- bis dreihundert Riesen pro Monat sind locker drin. Hat mir alles Toni erzählt. Sein Onkel ist Pförtner im Präsidium.“ „Oho!“ machte der Dickwanst. „Eine herausragende Position!“ „Jawohl, ist sie auch! Jeder, der kommt und geht, muss an ihm vorbei. Und wenn sich die Leute unterhalten, kriegt der Onkel alles mit. Bestens informiert, sag ich. - Der Chinese zum Beispiel, der neulich angeblich im Suff vom Hochhaus gefallen ist: eindeutig ein Mord der Chinamafia.“ „Und warum tun die Bullen nichts dagegen?“ fragte Harry, der Wirt. Der Jockey breitete die Arme aus. „Weil sie halt nichts tun!“ Ich fühlte, wie der Alkohol, die stickige Wärme, meine Erschöpfung und das Stimmengewirr der Männer allmählich mein Gehirn benebelten. Neben der Tür zur Toilette hing das Telefon an der Wand. „Darf ich mal die Funkstreife anrufen?“ „Wozu denn?“ schnauzte Harry. „Ich muss den Mord melden.“ „Kannst du dir sparen. Hast gehört, was der Jockey gesagt hat: die Bullen üben Bummelstreik. Lass die gelben Jungs ihre Angelegenheiten selbst austragen.“ „Aber es geht um Mord! So was muss man anzeigen!“ „Vielleicht tut’s ein anderer.“ „Und wenn nicht?“ „Dann tut’s keiner. Irgendwann werden sie die Leiche schon finden.“ „Und wer holt mich hier raus? Glaubst du, ich lass mich von dem Typ da draußen aufschlitzen?“ Der Catcher stülpte seine Unterlippe vor. „Hör mal! Wir wollen mit den Bullen nichts zu tun haben. Die machen bloß Scherereien. Stecken überall ihre Nase rein. Haben an allem was rumzumeckern. Müssen immer das letzte Wort haben. Klugscheißer, wenn du mich fragst. Mit Klugscheißern hat von uns keiner was am Hut.“ Der Schmächtige an der Theke hob den Kopf: „Er issn Bullenfresser, weil der Jockey hat ‘n ille , illegalen Waffenhandel.“ Mit einem Schritt war der Catcher bei ihm, packte ihn am Kragen und zischte: „Halt die Klappe! Oder ich verpasst dir eine!“ „Sss ja gut! Sss ja gut“, sagte der Schmächtige und ließ den Kopf auf die Arme zurückfallen. Der Catcher ließ den Mann los, richtete den Blick auf mich und befahl: „Keine Bullen. Klar?“ „Dann rufe ich an, wenn ihr gegangen seid. Oder ich mach’s morgen. Wenn die Kripo fragt, warum ich so spät dran bin, werde ich zu Protokoll geben müssen, dass ich daran...“, ich betonte das nächste Wort, „...gehindert wurde. - Könnte schon sein, dass er...“, ich deutete mit dem Kopf auf Harry, „...eure Namen rausrücken muss und ihr alle als Zeugen geladen werdet.“ Augenblicklich herrschte Stille. Sogar der Spielautomat stellte sein Rattern und Klingeln ein. Nur das Radio auf dem Brett mit den Cognacflaschen dudelte frivol in den Raum hinein. Eine Leuchtstoffröhre flackerte, machte jedes Mal ‘Ping!’ wenn sie anging. „Denk doch mal nach, Junge“, sagte der Catcher. „Wenn die Bullen den Mörder fassen, musst du bei der Gerichtsverhandlung als Zeuge aussagen. Hinterher ist dein Leben keinen Pfifferling wert. Die Komplizen des Mörders werden dich zu Tode hetzen.“ „Toni sagt, die Chinesen kennen dreihundertzweiunddreißig Arten, wie man einen Menschen umbringen kann“, rief der Jockey mit seiner Fistelstimme. „Von Zeitlupe bis Zeitraffer.“ Harry pfiff durch die Zähne. „Dreihundertzweiunddreißig! Erzähl mal ein paar Beispiele!“ „In Öl kochen. In einen Ameisenhaufen stecken. Am Strand bei Ebbe bis zum Kopf eingraben. Kopfunter an einen Ast...“ Plötzlich hatte ich ein verdammt flaues Gefühl im Magen. „Ich glaube, heute Nacht schlafe ich besser hier, hinter der Theke“, sagte ich zu Harry. „Eine Wolldecke würde mir genügen.“ - Ich ahnte nicht, dass die Nacht und die folgenden Tage anders verlaufen wären, wenn Harry meine launische Bemerkung ernst genommen hätte... |
Home
|
Zurückblättern
|
|
Leseprobe verlassen
|