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Wolken über dem Jubiläumshof
von Vikta Tobor
Der Strelerhof feiert Jubiläum. Der Bürgermeister macht Konrad Streler, dem jetzigen Besitzer des Hofes, mit den offiziellen Feierlichkeiten vertraut. Bei der Gelegenheit trägt er ihm auf, sich um eine pikante Angelegenheit zu kümmern...

„Das Fernsehen hat sich für dein Jubiläum angesagt.“ Bürgermeister Martin Sembach zeigte dem Streler-Konrad den Brief, der heute früh mit der Post gekommen war. „Die Tiroler wollen mitfeiern –, wenigstens im Fernsehen.“

Konrad Streler zog die Augenbrauen hoch. „Deswegen bestellst du mich in dein Büro? Das hättest du mir auch telefonisch sagen können!“

„Deswegen hab ich dich net hergebeten! Es ist wegen dem da.“

Der Bürgermeister schlug die vor ihm liegende Mappe auf. Zum Vorschein kam ein vergilbtes, an den Rändern ausgefranstes und mit altertümlichen Buchstaben beschriebenes Stück Papier. In der unteren rechten Ecke klebte ein lehmfarbenes Siegel, aus dem ein kurzes, rot-weiß-rot gestreiftes Band herausschaute.

„Das ist die Gründungsurkunde von deinem Hof! Gestern Abend ist sie mit der Dienstpost aus Innsbruck gekommen.“

Er drehte das Papier im Uhrzeigersinn, damit es Konrad besser sehen konnte. „Net anfassen! Das Papier ist empfindlich, immerhin ist’s zweihundertfünfundzwanzig Jahre alt. So alt wie dein Hof.“

Andächtig betrachtete Konrad die Urkunde und versuchte zu lesen, aber er verstand vom lateinischen Text kein Wort. Nur die Jahreszahl 1789 sprang ihm ins Auge.

„Zweihundertfünfundzwanzig Jahre sind nix Besonderes!“, sagte er. „Der Gütlinger-Hof im Pitztal ist schon über dreihundert Jahre alt.“

„Das schon!“, bestätigte der Bürgermeister. „Aber dein Hof wird noch immer von derselben Familie bewirtschaftet, und sogar der Familienname ist noch immer derselbe: Streler.“

„Weil es halt immer männliche Nachkommen gegeben hat“, erklärte Konrad.

Der Bürgermeister kniff die Augen zusammen. „Genau das ist die Sach, die ich mit dir besprechen möcht! Die handelt von deinem Ehestand.“

Konrad staunte. „Wieso Ehestand? Ich bin doch gar net verheiratet!“

„Genau das ist der springende Punkt! – Du hast vorhin selber gesagt, dass es auf dem Streler-Hof seit zweihundertfünfundzwanzig Jahren immer männliche Nachkommen gegeben hat, von denen einer den Hof geerbt hat. Wenn du deiner Pflicht gegenüber deinen Ahnen net nachkommst, heißt der nächste Bauer auf dem Streler-Hof ...“

„Was für eine Pflicht?“, unterbrach Konrad staunend.

Der Bürgermeister hob die Hände und ließ sie wieder fallen. „So ist’s recht! Muss ich dich noch aufklären, was die Manner bei der Nacht mit den Madln anstellen?“

Konrad grinste. „Das weiß ich schon selber! Kannst ja den Pfarrer fragen, wann ich das letzte Mal wegen dem sechsten Gebot gebeichtet hab!“

Jäh richtete sich der Bürgermeister auf. „Ich an deiner Stelle würde die Sach net so lustig nehmen! Wenn du keinen männlichen Nachfolger hast, heißt der Bauer auf dem Streler-Hof in der nächsten Generation Müller oder Maier! Und vielleicht gibt’s dann auch keinen Bauer mehr, sondern eine Bäuerin! – Die Tradition verlangt, dass der Hof von einem Streler-Vater an einen Streler-Sohn weitervererbt wird. Der letzte Streler, der keinen Bub mehr hat ...“, verächtlich zog der Bürgermeister die Nase hoch, „... der ist der Sargnagel seiner Dynastie!“

Konrad zog den Kopf ein. „Jetzt trägst aber dick auf!“

„Wenn ich es net so hart sag, geht’s net in dein’n Schädel rein!“

Der Bürgermeister rückte seinen Stuhl zurück und stand energisch auf. „Bis zur Jubiläumsfeier will ich ein fesches Weibsbild an deiner Seite sehen! Eine, die dich recht verliebt anschaut! Ich werde die Wimmer-Klara alle vierzehn Tag fragen, ob sich bei dir was tut. Wenn net, mach ich den Schmuser und such dir eine Bäuerin aus! – Hast g’hört?“

„Ausgerechnet die Wimmerin!“, brummte Konrad. „Der Geheimdienst und das Skandalblattel in einer Person! Die Heimlichkeit muss noch erfunden werden, die sie mit ihrer Nase und ihren Ohrwascheln net herausfindet.“ Er gab dem Bürgermeister die Hand, nahm den Zettel mit dem Jubiläumsprogramm und verließ das Büro.

Auch Fanni Grassl, Konrads Haushälterin, ist derselben Meinung: Auf den Streler-Hof gehört eine Bäuerin. Fanni hat auch schon ein bestimmtes Dirndl im Auge ...

„Recht hat er!“, entschied Fanni Grassl, die achtzigjährige Haushälterin auf dem Streler-Hof. Konrad hatte ihr nicht nur vom Programm zur Jubiläumsfeier berichtet, sondern auch die Aufforderung des Bürgermeisters erwähnt, endlich eine Bäuerin auf den Hof zu holen. Noch einmal sagte sie: „Recht hat er!“

„Halt du nur zu ihm!“, wehrte er sich.

„Ich denk ja gar nicht an die Familientradition. Obwohl das schon eine feine Sach wäre, wenn’s auch das Zweihundertfünfzig-Jährige geben würde. Wenn ich es auch nicht mehr erlebe. Dann wär ich nämlich hundertfünf. Ich denk an dich! Wie’s dir geht, wenn ich nicht mehr bin und du allein auf dem Streler-Hof lebst.“

Theatralisch sah sie sich in der Küche um. „Ich möchte gar net wissen, wie’s dann hier aussieht! Und in der Schlafkammer ... Und in der Wohnstub’n ...“

„Wird sich schon jemand erbarmen“, brummte Konrad.

„Wieder eine aus der Stadt, die dir nach zwei Wochen davonläuft?“

Da hatte er sich etwas eingebrockt, damals vor zwei Jahren, als er ausprobierte, was ihm der Schwinger-Kurt ins Ohr geblasen hatte: In der Stadt warten Dutzende Frauen darauf, dass einer kommt, der sie heiratet und aufs Land mitnimmt!

Extra nach München ist er gefahren. Seine erste Eroberung hieß Birgit. Ein Madl, fesch wie aus der Gartenzeitschrift! Aber arg kurzsichtig: Sie hat die Arbeit nicht einmal gesehen, wenn sie meterhoch auf dem Küchentisch stand. Sogar die Hühner haben sich aufgeregt, weil ihr niemand die Eier unterm Bürzel weggeholt hat.

Dann kam Hilde. Sie war robust, energisch, durchsetzungsfähig – und sehr zielstrebig! Nach zwei Wochen hatte sie das Regiment über den Hof übernehmen wollen. Und er – Konrad – hätte bloß noch wie ein braver Pudel Männchen machen dürfen!

Zum Schluss kam Marianne. Die ihm nach drei Tagen die Mistgabel vor die Füße geworfen hat.

Danach war er geheilt. Nie mehr eine aus der Stadt! Gott sei Dank hat keine vom Heiraten geredet. So gingen die Trennungen zwar aufs Herz –, aber der Geldbeutel war gesund geblieben.

Fanni unterbrach seine Gedanken. „Wie steht’s denn mit der Hornung-Elisabeth? Ihr zwei steckt oft genug beieinander. Und was ich mitgekriegt hab, vertragt ihr euch ganz gut!“

„Hat dir das die Wimmerin zugesteckt?“

„Ich hab doch selber Augen im Kopf! Wie ich euch am letzten Sonntag hinter dem Heustadel gesehen hab ...“

„Ein bisserl verliebt haben wir getan!“, sagte Konrad mit fester Stimme, als wolle er sich entschuldigen. „Da war nix Unehrenhaftes dran!“

Fanni lachte auf. „Ein bisserl verliebt! Da möchte ich wissen, wie ihr tut, wenn ihr richtig verliebt seid!“ Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber eines würd ich schon wissen wollen: Ist das mit der Hornung-Lissi bloß eine Spielerei, oder wächst sich das noch aus?“

„Was meinst du damit?“, staunte Konrad.

„Tu net so unschuldig! Du weißt genau, was ich meine. Ob aus eurer Liebschaft was Ernstes werden könnt!“

„Nix Gewisses weiß man net“, brummte Konrad. Er mochte Lissi sehr gern, und wenn sie ihn mit ihren meergrünen Augen ansah und ihm die roten feuchten Lippen zum Kuss bot, da machten seine Gedanken manchmal arge Purzelbäume ...

Aber ihre zwei großen Fehler riefen ihn jedes Mal zur Vernunft. „Sie ist erst zwanzig Jahr alt“, erklärte Konrad ihren ersten Fehler. Den zweiten fügte er gleich an: „Und sie ist arg abergläubisch.“

Konrad akzeptiert Lissis Jugend und ihren Aberglauben. Alles läuft so, wie es sich Bürgermeister Sembach und Fanni Grassl vorgestellt haben. Doch sie ahnen nicht, dass zwei andere Personen Horoskope und Tarot-Karten ignorieren und in das Schicksal der Verliebten eingreifen ...
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lprT013a - 2019.09.11